Neues italienisches Kino

Tarek wird spätabends von einer Zivilstreife angehalten

Foto: Manfred W. Jürgens – Aus dem Film Notte Fantasma

Zum 26. Mal tourt das italienische Filmfestival durch Deutschland

Neben den bekannten italienischen Filmklassikern wie „La Dolce Vita“ (1960), „La Strada“ (1954) oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) gibt es ein modernes italienisches Kino zu entdecken. Viele der aktuellen Filme sind allerdings – wenn überhaupt – nur selten auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen. Diese Lücke füllt das Programm CINEMA! ITALIA! glücklicherweise jedes Jahr wieder mit sechs ausgewählten Filmen, die im Original mit Untertiteln gezeigt werden.

Fünf neue Filme und ein Klassiker

2023 liefen fünf neue Filme plus ein echter Klassiker des Neorealismus – „Mamma Roma“ von Pier Paolo Pasolini als Hommage an die großartige Schauspielerin und gebürtige Römerin Anna Magnani. Und obwohl die diesjährigen Filme unterschiedlicher nicht sein könnten, haben sie ein verbindendes Element: sie beschäftigen sich auf ihre ganz eigene Art alle mit drängenden gesellschaftlichen Problemen. Mal laut, mal leise … mal unterhaltsam, mal bedrohlich.

Il bambino nascosto – Das versteckte Kind

Schauplatz dieses feinfühligen, leisen Films ist ein Problemviertel in Neapel. Eine heruntergekommene Arbeitergegend, in der nicht mehr viele Bewohner eine Arbeit haben und die Camorra allgegenwärtig ist. Hier lebt der schon etwas ältere Musikprofessor Gabriele Santoro allein und sehr zurückgezogen in seiner großen, stillen Wohnung. Er meidet den Kontakt zu seinen Nachbarn, verlässt die Wohnung nur, wenn er zum Unterrichten muss und scheint weder Freunde noch Familie zu haben. In dieses einsame Leben bricht plötzlich der Nachbarsjunge Ciro ein, der sich vor seiner Familie und gleichzeitg der Camorra verstecken muss. Mit viel Empathie erzählt Regisseur Roberto Andò die Geschichte der beiden Protagonisten, die nach und nach erkennen, dass sie mit einer lebensbedrohlichen Situation fertigwerden müssen und das nur gemeinsam schaffen können.

Grazie ragazzi – Alles nur Theater?

Ein weiteres ernstes Thema der Festivalfilmreihe, dem Regisseur Riccardo Milani allerdings auf sehr unterhaltsame Weise begegnet: Wie geht unsere Gesellschaft mit Gefängnisinsassen um?
Antonio Albanese spielt den in die Jahre gekommenen, erfolglosen Schauspieler Antonio, der von Gelegenheitsjobs und dem Synchronisieren von Pornofilmen lebt. Eines Tages bekommt er unverhofft das Angebot, einen Theaterworkshop für Strafgefangene in der Nähe von Rom zu leiten. Ein Projekt mit vielen Hindernissen: der Bürokratie in Person der Gefängnisdirektorin, den Häftlingen selbst, die eigentlich gar keine Lust auf Theater haben und dem Spagat zwischen Freiheit und Eingesperrtsein. Was man trotz allem mit Humor und Beharrlichkeit erreichen kann, davon erzählt diese wunderbare Komödie, die gute Laune macht und einen gleichzeitig nachdenklich stimmt.

Beata te – Der Erzengel und ich

Auch dieser Film dreht sich um eine sehr aktuelle gesellschaftliche Frage: möchte man als Frau ein selbstbestimmtes Leben führen oder Kinder kriegen? Paola Randis Film basiert auf einem Theaterstück von Luisa Merloni und schafft es, diese in unserer modernen Gesellschaft so kontrovers geführte Diskussion äußerst kurzweilig umzusetzen.
Bei der erfolgreichen Theaterregisseurin Marta, die das Kinderkriegen mit 40 eigentlich schon abgehakt hat, steht plötzlich ein Typ auf der Matte und behauptet, der Erzengel Gabriel zu sein. Und er hat ihr etwas mitgebracht: in zwei Wochen wird sie ein Kind zur Welt bringen. Was folgt, ist eine amüsante Auseinandersetzung mit der ebenso schwierigen wie essenziellen Frage, ob man sich als Frau für oder gegen Kinder entscheiden sollte.

Margini – Am Rand

Margini ist ein Film über die italienische Provinz und drei Freunde, die unbedingt aus ihrem eintönigen Leben ausbrechen möchten. Sie spielen zusammen in einer Punkband und treten bei Dorffesten und Festivals in der Umgebung auf. Ihre große Chance scheint zum Greifen nah, als sie als Vorband einer berühmten US-Band gebucht werden. Doch dann wird das Konzert kurzfristig abgesagt und Edoardo, Iacopo und Michele schmieden einen Plan: sie wollen die amerikanische Band in die toskanische Provinz holen.
Aber passt Punk tatsächlich in diese verschlafene Gegend? Oder müssen die drei aus ihrem gewohnten Alltag ausbrechen, um letztendlich das zu tun, wovon sie wirklich träumen?

Notte fantasma – Ghost Night

Der beeindruckendste und zugleich beklemmenste Film des diesjährigen Festivals ist sicherlich „Notte Fantasma“ des römischen Regisseurs Fulvio Risuleo. Ein nächtliches Roadmovie, das viele Facetten Roms zeigt – allerdings nie das Rom, das man zu kennen glaubt. Die Orte, an denen der Film spielt, sind düster, bedrohlich, runtergerockt. Und doch entfalten diese Orte mit ihrer ganz eigenen Optik einen eigenartigen Sog, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Die Story könnte auch eine Graphic Novel sein, was sicher nicht zuletzt daran liegt, dass Fulvio Risuleo nicht nur Filmemacher, sondern auch Comiczeichner ist.
Eine wirkliche Handlung gibt es nicht: es entfaltet sich vielmehr ein Psychodrama zwischen den beiden Protagonisten. Auf der einen Seite der 17-jährige Tarek mit Migrationshintergrund und als sein Gegenspieler ein zwielichtiger Typ, der sich als Zivilstreife ausgibt und seine Macht gegenüber dem unsicheren jungen Mann gnadenlos ausspielt. Machotum, Immigration und Diskriminierung sowie eine öde, feindlich anmutende Stadt sind die großen Themen dieses außergewöhnlichen Films.

Mamma Roma

Dieser Klassiker des italienischen Neorealismus ist auch über 60 Jahre nach seiner Entstehung immer noch absolut sehenswert. Anna Magnani als „Mamma Roma“ beherrscht den Film mit einer unglaublichen Leinwandpräsenz. Als ehemalige Prostituierte, die ihrem mittlerweile 16-jährigen Sohn ein besseres Leben bieten will, investiert sie ihre Ersparnisse in den Kauf einer kleinen Wohnung in einem der Neubauviertel am Stadtrand von Rom. Als Mutter träumt sie davon, dass der uneheliche Sohn den Sprung von der Unterschicht in ein halbwegs bürgerliches Leben schafft. Doch obwohl sie bereit ist, alles dafür zu tun, scheitert sie an der Realität. Ihre Vergangenheit holt sie immer wieder ein, ihr Sohn gerät in schlechte Gesellschaft, landet im Gefängnis und dort schließlich in der Psychatrie. Ans Bett gefesselt stirbt Ettore auf tragische Weise.

Partner und Veranstalter

Wie auch in den Vorjahren wird Cinema! Italia! unter der Schirmherrschaft der Italienischen Botschaft ausgerichtet. Veranstalter ist Made in Italy. Und dank der deutschen Untertitelung durch professionelle ÜbersetzerInnen kommen auch Kinobesucher ohne italienische Sprachkenntnisse in den Genuss dieser hervorragenden Filmreihe.

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Tatjana Heckmann

Übersetzerin für Englisch und Italienisch

Ich bin Fachübersetzerin und beschäftige mich beruflich hauptsächlich mit Texten im Bereich Maschinen- und Anlagenbau. Des Weiteren fertige ich als beeidigte Übersetzerin beglaubigte Übersetzungen von Urkunden und Verträgen an. 

In der Rubrik et cetera schreibe ich über Themen aus meinem Berufsalltag und über alles, was mich an Sprache und Kultur darüber hinaus interessiert.